In seiner heutigen Form ist der Markt den Arnstädtern vertraut. Woher kommt Ihrer Meinung nach die Notwendigkeit einer Sanierung?
Der Arnstädter Markt ist eine weitgehend erhaltene Renaissance-Anlage, in die die Gründerzeit nicht, wie bei vielen anderen deutschen Marktplätzen, eingegriffen hat. Seine asymmetrische, tütenförmige Gestalt ist typisch für die Renaissance, seine Zugänge spiegeln die Handelswege wider, die sich in Arnstadt jahrhundertelang kreuzten.
Einmalig ist auch der Blick nach Westen, wo man aus der Mitte der Stadt über das leicht abfallende Gelände ins Land hinausschauen kann! Und mit dem Rathaus und den Tuchmacher-Arkaden prägen zwei schöne Renaissance-Gebäude den Markt.
Müsste man nicht eher sagen: hinausschauen könnte, denn im Sommer bleibt der Blick in den Kronen der Bäume hängen?
Das ist eines der Probleme, unter dem der Arnstädter Markt leidet. Der Platz ist heute in seiner Schönheit gar nicht erfahrbar. Die wichtigen Blickachsen sind verborgen: nicht nur nach Westen, auch auf das Rathaus, die Arkaden und die Bachkirche.
Er präsentiert sich einerseits als introvertierter Raum um das sehr schöne Bachdenkmal, andererseits als Straßenraum vor den Gebäuden, separiert durch Bordsteine und Asphalt. Das Areal um die Bachkirche ist vom Markt getrennt. Der räumliche Zusammenhang ist nicht mehr zu erleben.
In Italien genießen wir die prächtigen Plätze aus dieser Zeit mit ihrer Weite und Architektur, und zuhause erkennen wir oft nicht, dass wir Vergleichbares haben.
Was jedem Besucher auffällt: Außer am Dienstag, dem Tag des Wochenmarktes, ist am Markt nicht viel los. Hat das Ihrer Meinung nach etwas damit zu tun, wie der Markt sich heute präsentiert?
Aber sicher! Seit Jahrzehnten ist der Arnstädter Markt mehr oder weniger sich selbst überlassen worden. Es wurden Stromkästen, Betontröge, Bänke, Papierkörbe und Telefonzellen aufgestellt, und die Linden sind immer mal wieder durch Kronenschnitte in ihrer Höhe begrenzt worden. Im Einzelfall sicher in guter Absicht, nur passt nichts zusammen.
Der Markt hat keine Aufenthaltsqualität, er lädt nicht zum Verweilen ein. Alles ist jahrelang nach rein funktionalistischen Gesichtspunkten betrachtet worden.
Damit verschenkt Arnstadt viel Potential, nicht nur für Touristen, auch Lebensqualität für seine Bürger. Es geht darum, Leben ins Herz der Stadt zurückzubringen.
Die Arnstädter haben sich mit 5000 Unterschriften für den Erhalt der Bäume ausgesprochen, auch wenn sie alle Sichtachsen versperren und der Markt ursprünglich und jahrhundertelang frei von Bäumen war.
Es ist verständlich, dass die Arnstädter auf die Frage: Willst Du, dass die Linden auf dem Markt gefällt werden, antworten: lieber nicht! Aber das ist nicht die ganze Frage! Wir müssen zunächst klären, was wir vom Herz der Stadt erwarten.
Wofür soll uns der Platz dienen? Genügt es uns, dass hier am Dienstag Markt ist, und sonst ist nichts los? Ist es uns recht, dass das einzige, was man im Sommer fotografieren kann, das Bachdenkmal ist? Dass kein Kamerateam jemals einen Schwenk über den Markt, vorbei an Rathaus, Bachkirche und Arkaden bis zum Güldenen Greif wird machen können und so beeindruckende Bilder von dieser Stadt in die Welt hinausgehen?
Ein Marktplatz ist ein kulturhistorisches und architektonisches Zeugnis der Stadtgeschichte. Er ist gleichermaßen Repräsentationsraum und merkantiler Raum, Bühne in der Selbstdarstellung der Stadt nach Innen und über die Stadtgrenzen hinaus. Für die Anwohner ist er aber auch ein Teil ihres Wohn-umfeldes. Aufenthalt und Erlebnis auf dem Platz sollen für ein breites Spektrum sozialer Schichten und Altersgruppen qualitätvoll sein.
Die Gestaltung des Marktplatzes muss all den daraus erwachsenden Anforderungen auf einfache Weise, unaufgeregt, nachhaltig und technisch sicher dienen. In diesen Kontext gesetzt ist die Anzahl der Bäume nur ein Aspekt, der sich in ein Ganzes einfügen muss.
Die Spirale von Leerstand und Nicht-Nutzung gibt es jedoch auch in anderen Städten. Ist es nicht verwegen, zu glauben, dass eine Neugestaltung des Marktes daran etwas ändert?
Eine Neugestaltung ist natürlich nicht die einzige Maßnahme, aber die erste und wichtigste. Die Stadt hat die Möglichkeit, diese Spirale zu unterbrechen: Indem sie den Markt attraktiv gestaltet, mit dem Ziel, dass man sich einfach gerne dort aufhält, den Raum und die Blicke genießt und dann natürlich auch etwas essen und trinken möchte.
Viele Städte haben damit gute Erfahrungen gemacht, so zum Beispiel auf dem Holzmarkt in Jena, auf dem Markt in Altenburg oder in der Fußgängerzone in Rudolstadt!
Man muss den Cafes und Läden eine Perspektive bieten. Es ist schade, dass unter den Arkaden mit Sonne bis spät in den sommerlichen Abend keine einzige der gastronomischen Lokalitäten genutzt wird! Schade übrigens auch, dass das sanierte Rathaus zum Markt hin so verschlossen ist. Eine Ratsstube im Kellergewölbe des Rathauses täte der Belebung der Innenstadt gut!
Was bedeuten Ihre Planungen konkret für den Bestand der 18 Linden auf dem Arnstädter Markt?
Unabhängig von den besprochenen gestalterischen Überlegungen muss man folgendes bedenken: Wenn Arnstadt die Oberflächenbeläge des Marktes mit hochwertigem, gehfreundlichen Pflaster gestalten möchte, sollten all die Arbeiten erledigt sein, die unter der Oberfläche liegen – die Sanierung und Neuverlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen, Datenkabel, Hausanschlüssen und dergleichen.
Bäume, die wie alte Alleebäume mitten im Platz stehen, haben ein weitreichendes Wurzelwerk entwickelt. Bei den erforderlichen Abgrabungen für den grundhaften Neuaufbau der Verkehrsflächen werden sie zwangsläufig geschädigt, mit unkalkulierbaren Folgen für ihren nachhaltigen Bestand.
Die Bäume uneingeschränkt erhalten hieße: gar keine Sanierung. Und heißt auch: keinen Verkehr mehr!
Soll heißen: Neben ästhetischen, „weichen“ Gesichtspunkten gibt es auch harte Gründe, warum die Linden nicht erhalten werden können?
Die Linden sind durch unsachgemäße Behandlung in den vergangenen Jahrzehnten und durch die bis heute gängige Praxis der Marktnutzung stark geschädigt.
Zwar ist es nicht möglich, eine genaue Lebenserwartung anzugeben, auch Todkranke können noch länger leben. Aber früher oder später wird es soweit sein: einzelne der Bäume bekommen keine Blätter mehr. Eine Nachpflanzung von Jungbäumen in der Reihe der grosskronigen Linden brächte nur mäßige Entwicklungserfolge.
Die Stadt muss sich also entscheiden: Wenn der Erhalt der alten Bäume, wie der Stadtrat entschied, handlungsweisend für alle anderen Maßnahmen sein soll, dann muss der Markt auch konsequent für den Verkehr, insbesondere der Händlerfahrzeuge und Laster, die bis heute über den Wurzeln parken und den Boden verdichten, gesperrt werden.
Welche Art von Neupflanzung und Grün sieht Ihr Konzept vor?
Wir können heute junge Bäume mit einem Stammumfang von 45 cm und mehr pflanzen, und in wenigen Jahren sind diese Bäume zu stattlicher Größe herangewachsen. Wir schlagen vor, auf der Rathausseite keine Neupflanzungen vorzunehmen, um den Platz zu öffnen.
Auf der Südseite dagegen könnte man nach einem großzügigen Bodenaustausch 7 bis 8 Linden (des herrlichen Duftes wegen) pflanzen. Aber für die alten Linden besteht keine Hoffnung im Rahmen einer sinnvollen Sanierung, dazu muss man sich bekennen. Das sollte man auch offen sagen.
Könnte man Ihrer Meinung nach nicht zumindest die Bäume auf der Südseite stehen lassen und nur die Rathaus- und Arkadenseite lichten?
Das ist eine der Möglichkeiten, die zu untersuchen ist. Der heutige Streit würde damit um 10 bis 20 Jahre verschoben. Die Risiken der Bestandsentwicklung bleiben.
Im Gegensatz zum Markt würden wir um den Erhalt aller Bäume rund um die Bachkirche ringen, die mit dieser zusammen ein harmonisches Ensemble bilden, und eine vorsichtige Neugestaltung der Tribüne der Bachkirche, die heute nichts als eine Hundewiese ist!
Ein ungenutzter Platz der Stadt, mit wunderbarer Aussicht über Hopfenbrunnen und Zimmergasse, der seiner Gestaltung harrt. Beim Absterben einzelner Baumpersönlichkeiten stört hier die Verjüngung des Bestandes durch Nachpflanzung das Gesamtbild nicht.
Was bedeuten Ihre Pläne für die Raumaufteilung, Pflasterung, Sitzgelegenheiten?
Wenn der Markt nur für die Anwohner befahrbar sein soll, wofür wir plädieren, dann sind Randsteine und Borde nicht notwendig. Fußgänger brauchen keine Borde, es genügen Entwässerungsrinnen. Zusammen mit verschiedenen Natursteinen kann man so eine lebhafte und ungestufte Oberfläche erzeugen, die zusammen mit der leichten Wölbung des Marktes nach Westen und Süden einen edlen und beeindruckenden Charakter erhält.
Die Rauhigkeit der Oberflächen sollte vor den Gebäuden zugunsten glatterer Pflasterplatten abnehmen, da diese für Kinderwägen, Rollis und Senioren besser geeignet sind als das spaltrauhe Pflaster des Platzes.
Diese Gehwege sollten nicht durch die Außennutzung der Gastronomie unterbrochen werden, wie es heute in Arnstadt noch oft der Fall ist, auch bei der Eisdiele am Markt. Es ist für Touristen, Besucher, Einkäufer sehr viel angenehmer, in gerader Linie durch die Außennutzung zu flanieren, als ständig um Sitzgelegenheiten herumgehen zu müssen, die unsinnigerweise auch noch eingezäunt sind!
Achten Sie in anderen Städten, zum Beispiel auf dem Domplatz in Erfurt, darauf: Erst die Passanten, dann die Tische. Das bedeutet zwar, dass die Bedienung immer diese zwei Meter zusätzlich zu überqueren hat, aber man erzeigt damit eine besucherfreundliche und heitere Atmosphäre. Überall macht man das heute so, aus gutem Grunde.
Wie könnte man Ihrer Meinung nach mit den hässlichen Stromverteilerkästen umgehen?
Bei allen Plätzen, die wir bislang saniert haben, fand sich stets eine Möglichkeit, die Versorgung des Platzes mit Strom und Wasser sicherzustellen, in der Regel mit so genannten Unterflurverteilern, die nur bei Anschlussbedarf aufgeklappt werden.
Weiter sind einheitliche Regeln in Sachen Werbung, Aufsteller, Namensschilder, Mansarden, Schirmen, Stühlen und Tischen dringend notwendig. Hier kann man sich Dresden als Vorbild nehmen: die Stadt hat für den Neumarkt eine Gestaltungssatzung entwickelt, die streng einzuhalten ist.
So sind beispielsweise nur Aufputz gemalte Namenszüge oder zart hinterleuchtete Metallschriften gestattet. Schirme dürfen keine „Röcke“ haben und keine Fremdwerbung. All das sind Kleinigkeiten für sich, die jedoch zusammen ein besonderes Flair ergeben, wie wir es nicht nur in Dresden finden.
Gestaltung ist das eine, die Art der Nutzung das andere. Welche Änderungen würde Ihre Marktkonzeption für die wechselnden Märkte bedeuten, vor allem den Dienstagsmarkt?
Der Wochenmarkt am Dienstag ist leider ohne Ordnung, das reine Chaos! Ein Wochenmarkt kann dazu beitragen, eine Stadt zu verschönern, mit diesem jedoch verliert Arnstadt. An einem Dienstag ist es für Besucher der Stadt endgültig nicht mehr möglich, den Markt als Platz zu erleben. Das hat viele Gründe.
Zuallererst: die Art, wie die Händler gestellt werden, bezieht sich überhaupt nicht auf den Platz und seine Häuser und Geschäfte. Sie bilden eine Wagenburg, die den Fassaden und Gehwegen ihre Rückseite zeigt. Das ist grundfalsch. Die Händler müssen sich umgekehrt den vorhandenen Geschäften zuwenden und auch – mit gebührendem Abstand – dem Bachdenkmal, um diese toten Räume zu vermeiden. In der Mitte zusätzlich eine Gasse oder zwei, so dass Rückseite an Rückseite grenzt. So ist auch Müll etc. automatisch aus dem Blickfeld.
Autos haben am Markt nichts verloren, außer vielleicht jene der Händler, deren Produkte aus der Kühlung verkauft werden müssen. Die Händler kommen auch, wenn Sie nicht neben Ihrem Stand parken dürfen, das zeigen viele Märkte in anderen Städten, zum Beispiel in Weimar. Wir schlagen einheitliche Schirme und feste Hülsen für diese im Boden zumindest für die Freisitze der örtlichen Gastronomen vor, welche automatisch ein geregelte Aufstellung erzeugen.
Was ist Ihr Vorschlag zum Thema Markt und Stadtfest?
Was Festlichkeiten angeht, könnten Bühnen immer am Westende des Marktes stehen, so nutzt man das natürliche Gefälle und die Trichterform des Platzes optimal. Dann verstellt man keine Architektur, der Platz wäre bei Konzerten in voller Pracht erlebbar. Auch diese Fragen müssen geklärt sein, wenn man den Platz neu gestaltet, denn dann muss die Infrastruktur dafür vorgesehen und zum Beispiel die Telefonzelle verlegt werden.
Mit diesen Maßnahmen könnte Arnstadter Markt gerade auch dann, wenn etwas auf ihm los ist, zu einem Erlebnis gelebter europäischer Geschichte werden, wie es internationale Touristen, Asiaten wie Amerikaner, heute erwarten, wenn sie eine historische Altstadt besuchen.
Vielen Dank für das Gespräch
Die Architektengemeinschaft Hugk & Sellengk existiert seit 1991 in Weimar. Ulrich Hugk war nach dem Architekturstudium in Weimar in der Experimentalwerkstatt der Bauakademie in Berlin tätig. 1978 wechselte er als Leiter einer Planungsgruppe für Städtebau an die Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar (heute Bauhaus-Universität Weimar), wo er bis 1991 als Wissenschaftlicher Assistent blieb.
Johanna Sellengk nahm nach dem Architektur- und Städtebaustudium in Weimar 1972 eine Tätigkeit an der Bauakademie Berlin als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Abteilungen Wohngebiete / Umgestaltung auf und ging 1979 ebenfalls als Wissenschaftliche Assistentin mit Lehrschwerpunkt Städtebau nach Weimar zurück.
Das Architektenduo hat seitdem zahlreiche Plätze neu geplant und saniert, darunter den Markt in Altenburg, die Fußgängerzone und den Markt in Rudolstadt, den Anger in Bad Frankenhausen, Junkersand und Ostseite Domplatz in Erfurt, die Petersstraße in Freiberg, die Sporerstraße in Oschatz, in Jena den Holzmarkt, die Oberlauengasse, den Johannisplatz, Nonnenplan/ Löbderstraße/Unterm Markt und andere.
1. Eine Einführung in das Thema
2. Interview mit dem beauftragten Planungsbüro
3. Das Baumgutachten des Sachverständigen
4. Dokumentation einer öffentlichen Stimmungsmache